Jahrzehnte lange Suche nach dem Sinn. Warum bin ich eigentlich hier? Kein Selbstwert. Ich habe mich als Fehler im System gefühlt. Wäre oft am liebsten unsichtbar gewesen. Nach gefühlten 100 Jobwechseln und einer ziemlich drastischen Trennung mit Burnout und Selbstmordgedanken kam ich irgendwann an den Punkt zu erkennen: Egal, was ich tue oder wohin ich flüchte, ich nehme mich und mein Thema immer mit!
So entstand die Idee, einmal etwas vollkommen anderes zu tun. Den Alltag, die Gewohnheiten, die Sicherheit zu durchbrechen.
Noch nie in meinem Leben habe ich tatsächlich etwas wirklich alleine gemacht. Noch nie die Verantwortung für mich getragen. Mit 18 Jahren habe ich davon geträumt durch die Welt zu ziehen. Statt dessen habe ich den Weg Ausbildung, Heirat, Haus, Kinder, Selbstständigkeit gewählt und immer die Sinnsuche mit herum getragen.
Im Frühjahr 2021 ploppte dann endgültig die Idee auf: Zu meinem 50. Geburtstag verlasse ich mein Leben!
Ich teilte den Gedanken mit meiner Partnerin, die mich sofort darin unterstützte.
Mein Beschluss: Ich gehe ohne Zeit, ohne festes Ziel, ohne Geld und ohne Essen mindestens 4 Wochen aus dem Alltag.
Als ich im Bekanntenkreis davon zu erzählen begann, stieß ich auf eine Bandbreite von Reaktionen. Von „Du bist vollkommen irre!“ bis „Wow, darum beneide ich Dich!“ war ziemlich alles dabei.
Ich selbst hatte Angst. Ganz deutlich. Angst vor dem Verlust meiner gewohnten Sicherheit. Angst davor nicht genug zu bekommen, versorgt zu sein. Eine Ur-Angst in meinem Leben! Als ungewolltes Kind, als 6. Kind in völliger Armut und Unterversorgung aufgewachsen. Nicht zu wissen, ob ich morgen etwas zu Essen habe, ist eine im Unterbewusstsein eingebrannte, lebensbedrohliche Situation. Das ist auf dem Foto vielleicht zu erspüren.
Ich wollte es wissen, wollte diese Angst erleben. Am 4. Juni 2021 bin ich mit minimalistischer Ausrüstung losgegangen. Ein Treckingrucksack gefüllt mit: Schlafsack, Ultraleicht-Hängematte, Regenjacke, Notfall-Regenponcho, Handtuch, aufblasbares Kopfkissen (bisschen Luxus darf schon sein:-), Wasserfilter, Pflaster, Taschenmesser, Feuerzeug, Stirnlampe, 2 Paar Socken, 2 Unterhosen, 2 Hemden, Treckinghose, Sonnenhut, wasserdichte Treckingschuhe, Sandalen, 1 Rolle Klopapier, Zahnbürste, Zahnpasta, Seife und 1ltr Wasser. Eine DIN A5 Kladde um ein paar Tagesnotizen zu machen, damit meine Erlebnisse nicht vergessen werden, war auch noch im Gepäck. Bis zum Abmarsch war ich unsicher, ob ich mein Smartphone mitnehme oder nicht. Ich habe mich dafür entschieden, um Fotos zu Dokumentationszwecken machen zu können. 16 kg auf dem Rücken.
Mein Bauch, meine Intuition führten mich nach Osten. Ich hatte das Gefühl in Richtung Leipzig zu wollen und habe mich auf diesen Impuls verlassen. Grundidee: Ich laufe 14 Tage Richtung Osten und kehre dann um.
Nach Gewaltmärschen von bis zu 13 Stunden am Stück, zeigte mir mein Körper eine klare Grenze. Ich habe in 9 Tagen den Weg abgespult, der eigentlich 14 Tage dauern sollte. Mit einer Entzündung im rechten Bein machte ich 5 Tage Zwangspause auf einem Pferdehof um dann mit neuer Kraft und einer anderen Energie auf den Rückweg zu starten.
Ein Telefonat mit meiner Partnerin öffnete mir die Augen. Ich bin auf meinem (Hin-)Weg aus dem alten Leben gegen mich selbst gelaufen. Weil ich mich in der Einsamkeit alleine nicht ausgehalten habe. Mein Körper hat mir meine eigene Grenze deutlich gemacht.
Mit einem neuen Impuls bin ich bewusst auf den Rückweg in mein neues Leben gestartet. Habe die Tagesrouten erheblich verkürzt und mehr die Einsamkeit vorgezogen. Es ergaben sich auf beiden Strecken unfassbar große Begegnungen und Erlebnisse mit Menschen und der Natur. Ich durfte Gefühle wie Dankbarkeit und Demut spüren und kennenlernen, die ich in der Form nie wahrgenommen habe.
Nach 28 Tagen und 3 Stunden bin ich wieder zu Hause angekommen.
Vielleicht ist die Veränderung , die Metamorphose zwischen dem ersten und dem letzten Foto zu erkennen.
Mich hat es so nachhaltig geprägt und beeindruckt, dass ich ein Buch darüber schreiben werde.